Hintergrund

Mittwoch, 16. Juni 2010

Ein Ausflug mit Balduin

Vor einigen Jahren habe ich mit Begeisterung Kurzgeschichten für meine kleine Tochter geschrieben; im Moment fehlt mir leider Zeit dafür. Bei einem Autorenwettbewerb habe ich die folgende Geschichte eingereicht und habe mich riesig gefreut, als sie veröffentlicht wurde.


Ein Ausflug mit Balduin
Kennst du eigentlich Balduin? Nein? Na, dann will ich dir heute mal von ihm erzählen.
Balduin ist ein Mäuserisch und lebt mit seiner Mäuse-Frau Greta und seiner kleinen  Mäuse-Tochter Bambinchen in einem großen Schloss. An einem schönen Sommertag beschließt Balduin mit seiner Familie, einen Ausflug zu machen. Er nimmt seinen Wanderstock und Greta verpackt Essen und Getränke in ihrem Mäuserucksack. Gerade als sie ihre kleine Wohnung durch das Mäuseloch verlassen wollen, hören sie ein gefährliches MIAU vor dem Ausgang. Greta und Bambinchen werden bleich vor Schreck und verstecken sich zitternd hinter Balduin. Vorsichtig sieht der Mäusevater aus dem Mäuseloch und ihm blicken zwei riesige, gelbe Augen entgegen. Balduin geht einen Schritt zurück und…. ja, und fängt an, schallend zu lachen. Er lacht so sehr, dass er sich den Bauch hält und ganz rot wird im Gesicht. Greta und Bambinchen sehen ihn verständnislos an. „Das ist….“prustet er, „das ist doch nur die dicke Berta….“ Lachend denkt er an die Späße zurück, die er schon mit ihr erlebt hat. Zugegeben, ihr Miau hört sich schon sehr Furcht erregend an, aber Berta, die älteste Schlosskatze, ist so dick, dass sie es noch nie geschafft hat, eine Maus zu fangen – sie ist einfach viel zu langsam.
„Versteckt euch beim Mäuseeingang, ich werde Berta in der Zwischenzeit ablenken.“ Balduin flitzt aus dem Mauseloch, als sich die dicke Berta gerade die Schnurrbarthaare putzt und er piepst zweimal tüchtig laut, damit die Katze ihn bemerkt. Diese macht einen Satz hinter dem Mäuserich her und nun kann die Jagd beginnen. Balduin saust um den Schirmständer herum, der auf dem Flur steht, und Berta immer hinterher. Die Kreise, die Balduin dreht, werden jedoch immer kleiner und kleiner und da der Mäuserich sehr flink und wendig ist, bereitet ihm dies auch keine  Schwierigkeiten. Berta jedoch ist dick und behäbig und auch nicht so wendig, so dass ihr immer schwindeliger wird. Schließlich ist sie so aus der Puste, dass sie laut schnaufend auf dem Rücken liegt und alle Viere von sich streckt. Die Mäusefamilie spaziert nun fröhlich an der dicken Berta vorbei und Bambinchen kann es nicht lassen, ein paar Grimassen zu machen und der japsenden Katze die Zunge heraus zu strecken.

Auf ihrem Spaziergang zum See singen sie ein paar fröhliche Mäuselieder und begegnen unterwegs Hugo, der Schnecke und der Igelfamilie Pieks, die es sich im Schatten gemütlich gemacht hat. Auch die Mäuse lassen sich zu einem Picknick nieder und machen anschließend ein kleines Nickerchen. Bambinchen wacht nach einiger Zeit auf und spitzt die Ohren. Was ist das? Sie lauscht, kann aber nichts mehr hören. Da!! Sie hört es wieder – ein dumpfes Brummen und Grollen. Auch Greta und Balduin erwachen und sehen sich um, woher das Geräusch kommt. Eine Katze? Ein anderes wildes Tier? Sie blicken zum Himmel und erschrecken: Ein Gewitter! Um sie herum sind nur dunkle Wolken zu sehen und die Bäume fangen an, sich wie wild im Sturm zu biegen. Schnell packen sie alles zusammen und laufen zum Wald. Balduins Familie kämpft sich im Wind vorwärts und schon fallen die ersten großen Tropfen. Durch einen riesigen Blitz wird es plötzlich taghell und der anschließende Donner lässt sogar den mutigen Balduin zusammen zucken.  Bambinchen fängt an zu weinen und hält sich Trost suchend an ihrer Mutter fest. „Kommt mit“, ruft Balduin, „ich weiß, wo wir uns unterstellen können. Ich kenne in der Nähe einen großen Fliegenpilz – der bietet uns bestimmt ausreichend Schutz.“ Völlig durchnässt laufen sie weiter und gelangen zu dem Pilz, der wirklich einen Hut hat so groß wir ein Sonnenschirm. Schnell schlüpfen sie darunter und kuscheln sich eng aneinander.
Als es endlich aufhört zu regnen, ist es schon dunkel geworden. Balduin, Greta und Bambinchen krabbeln unter dem Pilz hervor und sehen sich vorsichtig um. Sie wollen schnell heim und fangen an zu laufen, so schnell wie man mit kleinen Mäusefüßen eben laufen kann. Wegen der Dunkelheit nehmen sie jedoch einen falschen Weg und hören plötzlich ein Geräusch, das sie erschrecken lässt: U-huuuu …u-huuu… eine Eule! Ihr größter Feind, dem sie hier in der Dunkelheit fast hilflos ausgeliefert sind. Balduin nimmt Greta und Bambinchen an die Hand und rennt mit ihnen zurück zum Fliegenpilz. Sie hören dicht hinter sich gerade noch einen Flügelschlag, als sie sich mit letzter Kraft unter den großen, leuchtend roten Hut retten. „Puh, das war knapp“, japst Balduin atemlos. In Gedanken versunken stochert er mit seinem Spazierstock in einer Matschkuhle, die sich neben dem Pilz durch den Regen gebildet hat. Plötzlich fängt sein Gesicht an zu strahlen: „Ich hab’s“, ruft er, während er weiter in der Erde stochert und allmählich ein großes Loch sichtbar wird. „Ich glaube, ich habe einen Geheimgang gefunden. Es könnte ein alter Bau von Marius Maulwurf sein, der hier mal gewohnt hat. Dieser Gang ist unsere Rettung.“ Sie krabbeln alle nacheinander in die Höhle – froh, der Eule endgültig entkommen zu sein. „Papa, kommen wir durch diesen Gang nach Hause?“ flüstert Bambinchen, während ihr die Augen vor Müdigkeit fast zu fallen. „Ich denke schon“, lautet Balduins Antwort. „Marius hat all seine Gänge Richtung Schlossgarten angelegt, damit er uns  immer besuchen kann. Besser als draußen von der Eule geschnappt zu werden, ist es allemal. Also los!“ Die Mäusefamilie tippelt los und kommt in den Gängen schnell voran. Nach einer Weile kommt Balduin nicht weiter und wühlt sich mit seinen kleinen Vorderpfoten durch einen Erdwall hindurch. Und dann – ja dann hat er es geschafft. Seine kleine Mäusenase schnuppert wieder frische Luft und er sieht vor sich das hell erleuchtete Schloss. Er hilft Greta und Bambinchen aus dem Geheimgang hinaus und sie laufen so schnell sie können zu ihrer Mäusewohnung. Die dicke Berta schläft jetzt glücklicherweise schon und so können sie ungehindert durch das Mäuseloch schlüpfen. Erleichtert fallen die drei sich erst in die Arme und anschließend völlig übermüdet in ihre Betten. „Was für ein aufregender Tag, “ seufzt Balduin im Halbschlaf und beginnt mäusemäßig zu schnarchen.

(veröffentlicht 2004 in "Stachel, der kleine Igel, erzählt Geschichten" Band IV)

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